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  • David Gohla
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Digitale Kompetenz

Immer wieder hört man in den Nachrichten, dass bei Privatpartys plötzlich mehrere hundert ungeladene Gäste vor der Tür stehen, feiern und randalieren. Aufgrund der Event-Funktion in Sozialen Netzwerken werden diese Phänomene inzwischen mit dem Modewort „facebook-Party“ pauschalisiert. Ein nicht gesetztes Häkchen und plötzlich kann jeder andere User das Event sehen, verbreiten und so missbrauchen. Dies kann häufig mehrere Tausend Euro für den Polizeieinsatz kosten, verursacht schlaflose Nächte bei Angehörigen und Nachbarschaft und kann eine Erfahrung sein, die das Leben eines Jugendlichen radikal verändert. Die vor einiger Zeit aufgekommene Bewegung des Flashmobs wird in der negativen Form zu einem Shirtstorm oder halt einem Massenauflauf von Neugierigen, Halbstarken oder Krawallmachern.

Man denkt sich: „Es kann doch nicht so schwer sein!? Ein Häkchen, das Medienecho nach jeder Krawallparty, die vermeidliche Sensibilisierung. Das müsste doch inzwischen eigentlich jeder wissen.“ Eigentlich. Aber leider gibt es für Jugendliche kaum eine Möglichkeit, eine digitale Kompetenz zu erwerben. Die rasante Entwicklung des Internets und die fehlende Kompetenz bei Eltern und Lehrern entwickelt sich zum Problem.

Wir „Digital Natives“ sind im Umgang mit dem PC unserer Elterngeneration auf der Überholspur davongebraust. Wer mit Atari, Amiga oder C64 bereits erste Erfahrungen am Computer gemacht hat, im Umgang mit DOS, GameBoy und Koaxialkabeln geschult ist, der ist wahrscheinlich auch derjenige, der heute im Haus seiner Eltern den Router einrichtet, Windows updatet oder den neuen Scanner installiert. Es ist der gleiche Grund, warum Frauen häufig handwerkliche Tätigkeiten den Männern überlassen: Sie haben es nicht versucht und trauen sich daher nicht, ein Loch zu bohren oder die Fliesen zu verputzen. Selbstverständlich könnten sie es, denn auch Männer können Rezepte lesen und Essen kochen, machen es trotzdem seltener. Bestimmte Aufgaben werden einfach demjenigen überlassen, der vermeidlicher Experte ist. So spart man sich Zeit, Ärger und die eine oder andere Komplettrenovierung.

Letztendlich ist der vermeidliche Experte aber auch nur deshalb Experte, weil er sich lange und intensiv mit einem Thema beschäftigt. Beruflich oder privat, gerne oder gezwungenermaßen. Es werden Anleitungen gelesen, Lösungen gegooglet oder einfach ausprobiert. Denn nur so kann letztendlich herausgefunden werden, was genau passiert und man lernt für das nächste Mal hinzu. Das gilt sowohl für Kochgewürze als auch für Steckerverbindungen oder Codezeilen. Zum Teil führt dieses Probieren zu neuen Problemen („Wie kriege ich das Salz jetzt wieder aus dem Essen?“ oder „Der Drucker druckt jetzt, aber blau statt rot.“), meistens sind die verursachten Probleme bei vorsichtigem und vorausschauenden Handeln aber überschaubar und die Hard- und Software wird intuitiver und intelligenter („Have you tried turning it off and on again?“). Apple hat auch deshalb so viel Erfolg mit ihren Produkten, weil sie intuitiv sind, auf die nötigsten Funktionen reduziert und im Vergleich zu android auf ein relativ geschlossenes System setzen. „Was viele Funktionen hat, das kann man leicht kaputtmachen.“ – Apple nimmt dem User diese Befürchtung.

Ausprobieren ist in der heutigen Zeit leider kaum folgenlos. Das Internet als Dreh- und Angelpunkt sämtlicher Kommunikation verbreitet Daten schneller als je zuvor. Ein falscher Klick, ein nicht gesetztes Häkchen und schon erfährt die halbe Welt von Events oder anderen privaten Informationen. Natürlich gab es auch früher Leute, die uneingeladen auf Partys erschienen und es dann Ärger gab, aber die Geschwindigkeit der Verbreitung über das Internet vergrößert das Problem. Die Chance, etwas auszuprobieren, kann unüberschaubare Folgen haben. So wissen viele nicht, wie das Veröffentlichte wieder rückgängig zu machen ist, bzw. fehlt häufig auch das Bewusstsein. Hätte facebook nicht grundlegende Änderungen an den Privatsphäreeinstellungen vorgenommen, würden heute noch Millionen Jungendliche ihr komplettes Privatleben in der Öffentlichkeit austragen – unbewusst wohlgemerkt.

Das Ausprobieren führt heute also viel häufiger zu „öffentlichen Schäden“ als vor 15 Jahren. Den Jugendlichen kann man so gesehen eigentlich keinen Vorwurf machen, denn sie machen genau das, was wir einst gemacht haben und was sämtliche Generationen zuvor ebenfalls auf die unterschiedlichste Art und Weise getan haben. Sie versuchen die Welt zu verstehen. Dazu gehört nicht nur das Erlernen von Wissen, sondern auch der Umgang mit Folgen und Problemen. Diese Fähigkeiten vermitteln zumeist Lehrer und Eltern.

Nun sind diese Personengruppen in der schnelllebigen digitalen Welt häufig leider keine große Hilfe. Sie selbst haben wenig Ahnung vom Umgang mit den neusten Technologien, weil sie selten mit ihnen aufgewachsen sind und die Entwicklung ungemein rasant fortschreitet. Zwar sind viele Eltern bei facebook, auch um ein Auge auf die Online-Aktivitäten ihrer Kinder zu haben, aber die Sicherheits- und Privatsphäreeinstellungen oder das Einsortieren von Freunden und Bekannten in unterschiedliche Listen kann kaum einer erklären. Auch viele Lehrer sind den Netzwerken gegenüber offen, sind mit ihren Schülern „befreundet“, nutzen die Kanäle zum Verteilen von Gruppenaufgaben oder Informationen zum Unterrichtsausfall. Aber spätestens wenn ein Schüler online gemobt wird, stellt sich die Frage: „Ist das mein Thema, nur weil ich der Lehrer bin? Wie gehe ich mit Schülern um, die nicht in der Schule erscheinen und dann Fotos von Saufabenden posten?“

Natürlich gibt es Fortschritte in der Vermittlung von digitaler Kompetenz. Lehrer werden geschult, Experten beantworten Schülerfragen, die Medien versuchen aufzuklären. Aber bisher ist vieles freiwillig. Kein Lehrer ist verpflichtet, bei facebook zu sein. Auch, weil sie selbst im Umgang unsicher sind, verweigern sich viele. Schließlich wollen sie auch ein Privatleben haben. Und facebook ist ja aufgrund der Größe und Verbreitung nur ein prominentes Beispiel. Es gibt unzählige weitere Plattformen, Apps und Websites, die ein digitales Bewusstsein verlangen. Welche Dateien kann ich bedenkenlos runterladen? Welche Musikplattformen sind legal? Wo sollte ich meine Kontodaten besser nicht eingeben? Ist das Spam? Kann ich dem Anbieter trauen? Das Internet verlangt ständig haufenweise Einschätzungen vom User.

So kommt es dann halt immer wieder vor, dass ein Häkchen nicht gesetzt wird und am Ende die Polizei eingreifen muss. Die Opfer oder Täter (ganz sicher ist man sich da nicht), werden für ihre „Blödheit“ von allen Seiten belangt, teilweise sogar finanziell oder rechtlich. Ich frage: Woher sollen die Menschen es wissen, wenn niemand es ihnen erklärt und die Funktion nicht richtig beschrieben wird? Wer soll wissen, was ein Klick neben der gedachten Funktion noch so alles mit sich führt?

Bei der Erlangung von digitaler Kompetenz liegt noch ein weiter weg vor uns. Denn alles, was wir aktuell nutzen (und das ist verdammt viel), wird früher oder später von Menschen entdeckt, die davon noch wenig Ahnung und daher kaum Einschätzungsvermögen haben. Und die probieren dann einfach aus.